Vom Ersten bis Sat 1: Das Mittelalter

Was läuft in Film und Fernsehen?
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Norbert von Thule
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Vom Ersten bis Sat 1: Das Mittelalter

Beitrag von Norbert von Thule »

Heute in der Neuen Osnabrücker Zeitung
Marie-Luise Braun hat geschrieben:
Vom Ersten bis Sat.1: Das Mittelalter bietet reichlich Stoff für immer neue Fernsehfilme

Von wegen finster

Ob „Die Säulen der Erde“, „Die Wanderhure“, „Borgia“ oder „Wege aus der Finsternis“: Seit einiger Zeit folgt im Fernsehen ein Film über das Mittelalter dem nächsten. Ob Sat.1, WDR, ZDF oder Phoenix, nahezu alle Sender setzen auf Geschichten und Dokus, die sich der Zeit zwischen dem 6. und dem 15. Jahrhundert widmen.

Mord, Intrigen, Hexenverfolgung und übersinnliche Liebe: Die Macher der Filme schöpfen aus dem Vollen, die Zuschauerzahlen sind hoch. So erreichte der erste Teil von „Die Wanderhure“ im vergangenen Frühjahr nahezu 10 Millionen Zuschauer, Teil zwei wurde flugs produziert und wird Ende des Monats gesendet.
Die Schriftstellerin Juli Zeh schrieb in ihrem Buch „Corpus delicti“: „Das Mittelalter ist nicht der Name einer Epoche, es ist der Name der menschlichen Natur.“ Mit einem langen, fast seufzenden Schweigen reagiert Dr. Uwe Neumahr auf dieses Zitat. „Ach“, sagt der Mittelalter-Experte dann, „das impliziert die Rauheit, das Derbe. Aber war die Antike anders?“ Im Mittelalter habe es sehr viele aufgeklärte Menschen gegeben, die viel reger, viel aktiver gewesen seien als in späteren Zeiten, ergänzt der promovierte Romanist dann.
Er selbst sei über Umwege zum Spezialisten für die Epoche geworden, die oft als „dunkel“ beschrieben wird. Sein Professor für Mittellatein, Peter Godman von der Universität Tübingen, erhielt 1996 die Erlaubnis, in den Geheimarchiven des Vatikans zu forschen, Uwe Neumahr unterstützte ihn dabei. „Und dann war ich tief drin im Thema“, sagt der 1972 geborene Historiker, der einige Bücher publiziert hat, unter anderem im Jahr 2007 „Cesare Borgia. Der Fürst und die italienische Renaissance.“ Zugleich ist Neumahr Literaturagent in München. Für eine Erklärung des Erfolgs von Mittelalter-Filmen hält er das Zeh-Zitat nicht. „Es ist schon sehr reißerisch“, urteilt er und findet die Ursachen der Faszination in den eigenen Wurzeln, die jeder Mensch suche.
„Es ist eine Identifikation mit der Heimat“, begründet er die Lust, sich mit Filmen ins Mittelalter versetzen zu lassen. Die Gebäude aus der damaligen Zeit würden so mit Geschichten gefüllt. „Und es ist ein Teil der Spiritualitätssuche“, ergänzt Uwe Neumahr. Das Mittelalter sei eine wichtige Epoche für den Glauben gewesen, die Menschen waren sehr religiös.
Dabei habe die Faszination des Mittelalters die für die Antike abgelöst. Lange habe das Mittelalter als rückständig gegolten. Zudem hatten die Nationalsozialisten das Zeitalter für ihre Zwecke ausgeschlachtet, wodurch es im Nachkriegsdeutschland zunächst verfemt war.
Erst Historiker wie Jacques Le Goff („Geburt Europas im Mittelalter“) und Umberto Eco ”“ nicht nur durch seine Forschung, sondern vor allem mit seinem Roman „Der Name der Rose“ ”“ haben das Mittelalter als herausragende Kulturepoche rehabilitiert. Und das mit tiefer gehenden Auswirkungen. „Seit den Pioniertaten jener Wissenschaftler hat sich allein in Deutschland die Anzahl der Lehrstühle für mittelalterliche Geschichte verdoppelt“, sagt Neumahr. Das Image habe sich komplett gewandelt, mittelalterliche Märkte und Festspiele sind inzwischen quer durch die Republik beliebt.
Er selbst schaut sich die Filme über das Mittelalter an. Gern sogar. „Es geht um Unterhaltung“, meint Neumahr nüchtern, und die sei bei dem Stoff auf jeden Fall gegeben. Immerhin stimme ja der Rahmen mit historischen Fakten überein, sagt er unter anderem über die ZDF-Serie „Borgia“, die vergangenes Jahr gesendet wurde. „Aber die Motivationen der Personen kommen falsch rüber. Es ist viel Klein-Klein.“ So sei der Einfluss der Gulia Farnese auf den damaligen Papst Alexander VI. nicht so groß gewesen, wie im Fernsehbeitrag gezeigt. „Sie war seine Geliebte, mehr aber auch nicht.“
Drehbuchautoren wie Iny und Elmar Lorentz, die Verfasser der Serie über die Wanderhure Marie von Hohenstein, kennt er persönlich. „Sie recherchieren sauber, sie geben ganz klar auch Fakten aus der Zeit wieder“, stellt er fest. Die Geschichte um Marie und ihre Familie allerdings sei reine Fiktion. „Aber die Fernsehmacher müssen halt auch ihr Publikum bedienen.“

Bild
Sauber recherchiert: Wenn die Wanderhure (Alexandra Neldel) ins Fernsehen kommt, schaltet auch manch kundiger Wissenschaftler ein. Foto: Sat.1
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