Guédelon

Was geht im Mittelalter?
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Norbert von Thule
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GuÁ©delon

Beitrag von Norbert von Thule »

Heute im Südkurier:
Eine neue alte Ritterburg in Frankreich

Kann man eine Burg des Mittelalters heute nachbauen, ohne Baukran und Mischmaschine zu benutzen? Ja, man kann. Ein Projekt im französischen Burgund macht das beispielhaft klar ”“ seit mehr als 12 Jahren. In weitern 12 Jahren will man fertig sein. Aber die Sache eilt nicht. Denn der Weg ist das Ziel.

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Bild (GuÁ©delon): Gesamtansicht auf das Burgprojekt. Im Vordergrund sind die Grundmauern der späteren Umfassungsmauer. Gearbeitet wird hier nur im Sommer.

Es ist der erste Gedanke, der durch den Kopf schießt bei der Besichtigung mittelalterlicher Burgen, Schlösser, Kathedralen: Wie, um alles in der Welt, haben die Arbeiter mit ihren damaligen technischen Möglichkeiten diese pompösen Bauten zustande gebracht ”“ mit reiner Manneskraft, ohne Kran und Bagger? Heute, denkt man sich, bekäme man das doch gar nicht mehr zustande.
Den Gegenbeweis liefern Mittelalter-Pioniere auf einem grünen Flecken im französischen Burgund, gut zwei Autostunden südöstlich von Paris. Hier in GuÁ©delon errichten sie eine Burg, die unbelastet ist von den Kriegen und Krisen der Geschichte, und deren Turm wohl nie für die Feindesabwehr oder das Speichern von Wintervorräten herhalten muss ”“ aber es doch könnte.

Fuhrwerke bringen Baumaterial

Eine Burg im 21. Jahrhundert, inspiriert von den Erkenntnissen, die es heute über Bautechniken aus dem frühen 13. Jahrhundert gibt, aufgebaut mit Holz, Kalk- und Sandstein aus der Region. Statt eines Meterstabs dient ein Seil mit 13 Knoten. Jeder Ziegelstein wird selbst gebrannt, jeder Nagel handgeschmiedet. Klopfen und Hämmern ist zu hören, aber kein Motorenlärm. Die Kühe heißen Lavande und Luciole, in der Ferne gackern Hühner: Eine Baustelle als Idyll. Statt Kleinlastern transportiert ein Pferdefuhrwerk das Material. Per Rad-Konstruktion werden Steine aufs Dach transportiert: In einem Holzrad läuft ein Mann wie ein Hamster, am Seil bewegt sich die Last nach oben.
Das alles braucht Zeit ”“ aber die hat man. Inzwischen steht der halbe Turm, der 31 Meter hoch werden soll, die Brücke ist befahrbar, ein Teil des Haupthauses mit seinem Kreuzgewölbe ist fertig.
25 Jahre waren ursprünglich für den Bau veranschlagt, gut die Hälfte ist jetzt vergangen. „Es kann auch länger dauern“, sagt Maryline Martin. „Wir haben es nicht eilig.“ Und doch strahlt die Leiterin der Baustelle zupackende Energie aus. Der Weg, in diesem Fall der Aufbau, ist das Ziel ”“ eine heute oft vergessene Weisheit, sagt sie. Es geht gar nicht darum, fertig zu werden. Vor allem nicht schnell. Martin gehört zu den Ersten, die an das „archäologische Experiment“ geglaubt und es mit durchgesetzt haben: Dass auf dieser brachliegenden, von Wald umgebenen Fläche mitten in der französischen Provinz ohne moderne Hilfsmittel eine historisch anmutende Burg errichtet werden kann, die genügend Besucher anzieht, damit der Bau rentabel wird. Er soll das Mittelalter fernab jeden Spektakel-Rummels verkörpern. Doch wird nicht das Zerrbild einer düsteren Epoche gemalt: GuÁ©delon wird farbenfroh. „Wir wollen aufräumen mit falschen Vorstellungen von der Zeit von Philipp II. August (König von 1180”“1223), die sehr fröhlich war“, sagt Martin.
Ideengeber war Michel Guyot, der vor mehr als 30 Jahren gemeinsam mit seinem Bruder Jacques für ein paar tausend Francs ein heruntergekommenes Schloss in der Nähe kaufte und restaurierte. Seither rettet er alte Burgen in ganz Frankreich vor dem Verfall. Und er erdachte dieses Freiluft-Labor. „Könnte man eine Ritterburg mit den Techniken des Mittelalters bauen, würde man die Arbeitsabläufe der Werkleute im 13. Jahrhundert besser verstehen“, sagte er sich ”“ und zu Maryline, die sich auf die Suche nach Finanzierungspartnern machte. Die Bau-Erlaubnis war das geringere Problem: „Die Behörden waren so verblüfft, dass keiner wagte, uns auszubremsen.“ Weil es sich um ein soziales und pädagogisches Projekt handelt, wurde es von europäischen Fonds gefördert, so dass 1997 Grund gekauft, Personal eingestellt, Material besorgt werden konnte. Eine Empfangshalle entstand für die Besucher, die die Bauphasen mitverfolgen können.
„Am Anfang kamen nur Neugierige: Es gab ja noch nichts zu sehen“, erzählt Franck, Architekt und touristischer Führer zugleich. Heute hingegen handelt es sich um die größte Touristen-Attraktion der Gegend mit mehr als 300 000 Besuchern pro Jahr, die sich selbst finanziert und einen jährlichen Umsatz von 3,5 Millionen Euro macht. Viele wollen sich über Bio-Hausbau informieren. Ganze Schulklassen kommen zu Besuch. Neben den 50 Festangestellten, darunter Schmiede, Steinmetze, Zimmerleute, aber auch Wissenschaftler, legen fast 700 Freiwillige pro Jahr mit Hand an. Viele suchen eine Auszeit von ihren Bürojobs.

Eisen wird selbst geschmiedet

Es herrscht quirliges Treiben auf der 15 Hektar großen Fläche, die im nächsten Jahr ausgeweitet wird: Dann kommen ein Teich und eine hydraulische Mühle hinzu. Um die Burg herum gruppieren sich Wirtschaftsbauten, wie es sie vor 800 Jahren hätte geben können: Hier wird Eisen geschmiedet, werden Körbe geflochten und Ziegelsteine gebrannt. Immer wieder halten die Handwerker inne, befragt von Besuchern, denen sie ihre Vorgehensweise erklären: Sich von ihrer Arbeit abhalten zu lassen, ist ein Teil davon. Sie tragen kuttenartige Gewänder aus Leinen ”“ aber auch Bauhelme, Sicherheitsbrillen und -schuhe. „Wir wollen nicht in mittelalterlichen Extremismus verfallen“, rechtfertigt Franck die Vorsicht. „Wer ein Museum für historische Gewänder sucht, ist hier falsch.“ Eine Reise in eine ruhigere, naturnahere Zeit ist dennoch möglich.

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Bild oben (GuÁ©delon): Hier ist gut sichtbar, dass der gesamte Komplex auf einer erhabenen Fläche steht, die von der Schildmauer begrenzt wird. Hier geht die Arbeit an einem der Ecktürme weiter. Die Anlage hat einen quadratischen Grundriss.
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Bild oben (GuÁ©delon): Ein Dachstuhl wird aufgestellt. Große Holznägel halten die Balken am First zusammen.
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Bild oben (GuÁ©delon): Zwei Männer mauern einen Fensterbogen. Er ist kein romanisches Halbrund mehr, sondern beschreibt einen stumpf zulaufenden Bogen. Das frühe 13. Jahrhundert kündet vom Heraufkommen der Gotik.
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Bild links oben (GuÁ©delon): Stein für Stein wird vom Steinmetz mit Hammer und Meißel bearbeitet. Bild rechts oben (Holzer): Der Dachstuhl ist vollendet, nur einige Ziegelreihen müssen noch aufgelegt werden.
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Bild oben (GuÁ©delon): Ein Maurer in GuÁ©delon: Er nutzt - wie im Mittelalter üblich - ein Senklot, um zu überprüfen, dass der Stein genau waagerecht liegt. Wasserwagen wie heute gab es vor 800 Jahren noch nicht.
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Bild oben (GuÁ©delon): Mit Hilfe von Rädern werden die Mauersteine hochgezogen. Wie in einem Hamsterrad muss ein Mann gehen, damit das Seil des Krans über eine Umlenkrolle geführt wird und sich der Korb nach oben bewegt.
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Bild oben (GuÁ©delon): Ein Korbflechter in GuÁ©delon bei der Arbeit. Nur seine Brille passt nicht ganz ins Mittelalter.
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Tanzmeister Denesius
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Re: GuÁ©delon

Beitrag von Tanzmeister Denesius »

Geile Meile... Können wir die Jungs nicht dazu überreden das Projekt nach hier zu verlegen? Für Frankreich ist das doch Verschwendung :D
Wir haben einen Namen - Wir sind Legion

Pest auf, Tod für, Heil Trigardon
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