A-Schuhe

Was geht im Mittelalter?
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Norbert von Thule
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Registriert: 11.06.2006, 21:15

A-Schuhe

Beitrag von Norbert von Thule »

Lysann Kurpiela hat geschrieben:
Schuhe für Wikinger

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(Foto: Tom Lüdicke)

An einem Spätsommermittag öffnet Snorri Varnarsson die Mail aus Russland. Darin stehen drei englische Worte. Im Anhang findet er mehrere russisch beschriftete Skizzen, die fast 1000 Jahre alte Schuhe zeigen. Ein Freund hatte Snorris selbstgefertigte Mittelalter-Schuhe einem russischen Museum gezeigt. Das fragte nun, ob er originalgetreue Kopien von Reiterschuhen aus dem neunten Jahrhundert anfertigen könne.
Per Post kamen noch die tausend Jahre alten Silberknöpfe, die mit den Schuhen gefunden wurden. Einen Monat hatte er Zeit. Das waren die teuersten Schuhe, die er je gefertigt hat, sagt er. 1500 Euro haben sie das Museum gekostet. Ein paar der Knöpfe durfte er behalten.”¨”¨Snorri Varnarsson heißt eigentlich Tom Lüdicke, ist 47 Jahre alt und zählt sich zu den fünf besten Mittelalter-Schuhmachern Europas. Snorri ist sein Alter Ego aus dem nordischen Frühmittelalter. Unter diesem Namen verkauft er Wendeschuhe und lehrt auf Märkten das Schuhmacherhandwerk aus dem frühen Mittelalter. Wendeschuhe sind vermutlich der Ursprung des Sprichworts: „Und umgekehrt wird ein Schuh daraus“, da die Schuhe auf links genäht und anschließend nach innen gewendet werden, wie bei einem Schulmäppchen.
Wenn Menschen sich authentisch nach Mittelalter-Vorbild kleiden, legen sie auf die Schuhe oft nicht so großen Wert. „Ich sehe moderne Schuhe auf den Mittelalter-Märkten nicht kritisch, denn handgemachte Schuhe kosten schon etwas mehr als 150 Euro. Und was schaffen sich Männer als erstes an?“, fragt er mich. „Ein Schwert!“, antwortet er selbst und lacht. Macht sich auch besser an der Wohnzimmerwand als ein Paar Lederschuhe, sage ich.
Frauen hingegen kaufen zuerst Schmuck. Die Schuhe kommen bei beiden Geschlechtern zuletzt. So hat er in Schweden erlebt, dass ein Mann vor ihm stand, mit beeindruckendem Brillenhelm, detailgetreuer Kleidung und ”“ Adidas-Schuhen. In Deutschland hingegen gibt es sogenannte A-Päpste. Das A in ihrem Namen steht für Authentizität, denn auf die achten sie besonders scharf. Diese A-Päpste laufen, so erzählt Snorri, mit hängenden Mundwinkeln auf den Mittelalter-Märkten herum, suchen nach historischen Fehlern und grinsen schadenfroh über jede Fabriknaht, die sie entdecken.
Snorris Schuhe würden diesen Test bestehen. Sie stehen nicht nur im Museum. Man könne sie sogar vergraben, schlägt er vor, und tausend Jahre später wieder ausbuddeln ”“ dann  wäre kein Unterschied mehr zwischen seinen Schuhen und den heutigen Funden erkennbar.
Denn er fertigt seine Schuhe exakt nach wissenschaftlichem Vorbild. Das Leder lässt er extra herstellen: Er importiert die rohe Haut einer indischen Ziegenrasse, die der nordeuropäischen im zehnten Jahrhundert ähnelt. Es eignet sich aber nur die Nackenhaut der Böcke, denn die ist etwas dicker. Die Häute lässt er in Süddeutschland per Grubengerbung im Wald verarbeiten, mit Galläpfeln und allem drum und dran. Genau wie früher. Auf „Schrottleder“, wie es heutzutage leider vielerorts angeboten werde, sei die Zeit zum Nähen verschwendet, findet er.
Trotz der Arbeit, die in jedem Schuh steckt, sieht er seine Schuhe ganz praktisch: Sie sollen die Füße vor Dornen schützen und die Füße trocken halten. Dann fragt er mich noch nach meiner Schuhgröße.
Heute lag ein Päckchen mit Wendeschuhen zum Ausprobieren in meinem Briefkasten, mit Grüßen von Snorri. Ich werde testen, ob sie wirklich so bequem und wasserfest sind, wie er behauptet ”“ mehr demnächst in diesem Blog.
(Quelle:TAZ)
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