"…was uns heute noch heilig ist" 16./17.12.11 Uni Hildesheim

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Norbert von Thule
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"…was uns heute noch heilig ist" 16./17.12.11 Uni Hildesheim

Beitrag von Norbert von Thule »

„…was uns heute noch heilig ist“ / Kreuzzüge des Mittelalters und der Neuzeit / Internationale Tagung an der Universität Hildesheim 16./17.12.11 in der Tagungsstätte Michaeliskloster in Hildesheim
Eröffnung: 16.12.2011 um 14.00 Uhr. Interessierte sind zur kostenfreien Konferenzteilnahme eingeladen.

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„Von der ursprünglichen Idee her waren die Kreuzzüge vom Papst legitimierte bewaffnete Pilgerfahrten mit dem Ziel, die Heiligen Stätten für die Christenheit zurück zu erobern“, erläutert Hinz. „Die tatsächlichen Motive waren weit vielfältiger und verschoben sich bereits im Mittelalter: Im Zuge der Aufklärung wurde die Rolle der Religion zunehmend von säkular aufgefassten Ideologien und Werten abgelöst - die sich heute um die zweifellos vieldeutigen Konzepte Freiheit, Menschenrechte und Demokratie drehen. Das sind Ideen, für die der Westen sich heute in seiner Interpretation universale Gültigkeit wünscht. Letztlich geht es doch darum, was uns heute noch ‚heilig’ ist, in welcher Form wir uns dafür einsetzen wollen und wie dies von anderen wahrgenommen wird.“

Andreas Rüther (Bochum): Die mittelalterlichen Kreuzzüge in der westlichen Geschichtsschreibung seit Runciman
Dr. Andreas Rüther hat geschrieben:Seit Steven Runcimans „A History of the Crusades“, einer monumentalen Meistererzählung aus byzantinischer Perspektive in drei Bänden (1954), hat sich die europäische Geschichtswissenschaft in mehreren Zugängen den Kreuzzügen genähert. Die französische Mediävistik unter Führung von Jean Richard ”“ „Le royaume latin de JÁ©rusalem“ (1953) bzw.  „ L’esprit de la croisade“ (1969) ”“ legte epochale Darstellungen des hochmittelalterlichen Phänomens von universalhistorischer Bedeutung vor: den Auf­bruch der „Franken“ nach „Outremer“ zur Befreiung der Heiligen Stätten aus den Händen von Andersgläubigen.  In dieser Tradition eines dualen Verständnisprinzips von Gedanke und Bewegung hat auch Hans Eberhard Mayers klassische Studie „Geschichte der Kreuzzüge“ (1965) die geschichtlichen Ursachen, Grundzüge und Haupt­träger der in sieben Kriegszüge eingeteilten Kreuzfahrerära beschrieben und durch vielfältige Zeugnisse wie Augenzeugenberichten oder Liederdichtung  belegt. Vom Aufruf Urbans II. bis zur Aufgabe Akkons wird diese Auseinandersetzung zwischen Orient und Okzident, der arabisch-muslimischen Welt mit den christlich-europäischen Mächten, an den Kategorien von Ideal und Wirklichkeit untersucht. Peter Thorau berücksichtigt in seiner Einführung in Hintergründe, Geschichte und Auswirkungen der Kreuzzüge (2004) dabei insbesondere den islamischen Blickwinkel.  Der Brite Jonathan Riley-Smith wählt einen multiperspektivischen Zugriff, indem er nach dem Konzept („The first crusade and the idea of crusading“, 1986), den Akteuren („The first crusaders, 1095-1131“, 1997), der Begründung („Kriege im Namen Gottes“, 1999) und der Deutung ("Wozu heilige Kriege? Anlässe und Motive“, 2003) fragt. Neue Impulse hat Nikolas Jaspert mit seiner Abhandlung (2003) der Forschung gegeben, da er genauer Zielgebiete und Verlauf, Voraussetzungen, Organisation, Reaktionen und Folgen betrachtet.  Er erörtert die Relevanz der Kreuzzugsbewegungen, Muslime, Häretiker und Christen als Feinde, die vier christlichen Kreuzfahrerherrschaften bis zum ihrem Fall und wendet sich den Kriegszügen auf der Iberischen Halbinsel zu. Bei der Suche nach Anlass und Auslöser kommt er zur Relativierung vermeintlicher Ziele, unterscheidet fünf Motivationskomplexe und bewertet die Wirksamkeit der Motive, erkennt einen Wandel der Frömmigkeit und wägt das Engagement der Könige ab. Breit einbezogen werden Fremdwahrnehmungen, die islamische Sicht und interreligiöse Kooperation, die Kreuzfahrerstaaten im Vorderen Orient, die ‚faktischen’ Mächte und Ordensgemeinschaften sowie das Wirtschaftsgefüge Mittelmeerraum. Mit einem sozial- und kulturhistorischen Ansatz wird damit die aktuelle Kreuzzugsforschung um die Kategorie der Erfahrung ergänzt. Einer solchen „Relecture“ stehen Arbeiten amerikanischer Historiker wie Christopher Mc Evitt zur Seite, die den offenen Begriff  von Kreuzzug als Konzept, Metapher und Mythos anlegen und weiterführen („Crusades, crusadings, and crusader societies“, 2010).

Jonathan Phillips (London): Saladin: Life and Legend - From the Medieval Age to the 21st Century

Horst Pietschmann (Hamburg): Die spanische Conquista - Züge in Amerika als Kreuzzüge?

Mazhar Ahmad Al-Zoby (Qatar): US-American Wars in the Islamic World - Crusades?

Michael Broers (Oxford): The Napoleonic Campaigns - Crusades in the Name of Liberty, Equality, and Fraternity?


Björn Onken (Kassel): Praxisbericht aus der Schule zum Thema "Kreuzzüge"
Dr. Björn Onken hat geschrieben:Die unterrichtlichen Erfahrungen zeigen, dass die Kreuzzüge für den Geschichtsunterricht ein Thema mit vielen Chancen und Möglichkeiten sind, die in der bisherigen didaktischen Literatur noch nicht ausreichend gewürdigt worden sind. Vor allem das vergleichsweise große Schülerinteresse an den Kreuzzügen eröffnet didaktischen Chancen, die dem Thema Kreuzzüge ein besonderes Lernpotential verleihen. In empirischen Untersuchen hat sich gezeigt, dass Schülerinnen und Schüler Geheimisvolles und Abenteuerliches an geschichtlichen Themen besonders schätzen, was von den Schülerinnen und Schülern auch mit den Kreuzzüge in Verbindung gebracht wird. Dazu trägt bei, dass seit 2004 in fast jedem Jahr im Fernsehen oder Kino mindestens ein neuer Film zu den geheimnisumwitterten Tempelrittern zu sehen ist. Aber auch historische Romane bzw. Jugendbücher und Computerspiele wecken das Interesse der Jugendlichen am Thema. Einige der Schülerinnen und Schüler erwerben deshalb schon außerschulisch ein zum Teil durchaus umfangreiches Wissen zu den Kreuzzügen durch Fernsehdokumentationen oder Sachbücher, von denen eine ganze Reihe gezielt für ein jugendliches Publikum auf den Markt gebracht worden ist.
Für den Unterricht ergibt sich daraus die Schwierigkeit von sehr heterogenen Voraussetzungen innerhalb der Lerngruppen, aber auch viele Schülerinnen und Schüler ohne besondere Vorkenntnisse lassen sich von den abenteuerlichen und exotischen Aspekten des Themas begeistern. Insbesondere das Interesse der Jungen kann verhältnismäßig schnell geweckt werden, da sie sich allgemein mehr für das Thema Ritter interessieren. Die Faszination der Reisen in ferne Länder und die fremden Kulturen können aber auch Mädchen in ihren Bann ziehen. Das Thema Islam stößt nicht zuletzt aufgrund der von Thilo Sarrazin angestoßenen Debatten ohnehin auf Interesse bei den Schülerinnen und Schülern. Hier sind die Vorkenntnisse der Schülerinnen und Schüler allerdings mehr von Vorurteilen als von tatsächlichem Wissen geprägt. Insbesondere wird den Muslimen fälschlich unterstellt, die allgemeine Pflicht zum heiligen Krieg zur Ausbreitung ihrer Religion zu haben, was sich anhand der Kreuzzüge anschaulich widerlegen lässt.
Ausgehend von dem ausgeprägtem Schülerinteresse bietet das Thema Kreuzzüge die Chance zum interkulturellem Lernen und zur Multiperspektivität, so dass die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zur Orientierung in der globaliserten Welt besonders gefördert werden können. Dazu kommt noch ein ganz aktueller tagespolitischer Bezug, da der Begriff „Kreuzzug“ auch im heutigen interkulturellem Diskurs ein wichtige Rolle spielt. Das Nachdenken über das eigentlich paradoxe Töten im Namen Gottes führt in diesem Zusammenhang zur Schulung der Reflexions- und Deutungskompetenzen. Für die Schülerinnen und Schüler sehr überraschend und bemerkenswert ist der Kreuzug von Friedrich II., der zeigt, dass selbst zwischen antagonistischen und kriegerisch geprägten Gesellschaften eine friedliche Form der Konfliktlösung möglich ist.
In methodischer Hinsicht erlaubt das Thema Kreuzzüge vielfältige Zugänge. Es muss vermeiden werden, sich in der chronologischen Aufzählung der Kreuzzüge zu verlieren. Die Chronologie kann durch eine Zeitleiste aufgefangen werden, um den Rahmen für eine arbeitsteilige Gruppenarbeit oder einen thematisch orientierten Frontalunterricht zu schaffen.
Michele Barricelli (Hannover): Die Kreuzzüge in Schulbüchern - ein internationaler Vergleich
Prof. Dr. Michele Barricelli hat geschrieben: Als Unternehmungen, die aufgrund ihres „internationalen“ Charakters als Station auf dem Weg zur Formung eines gesamteuropäischen Bewusstseins gewertet werden können, finden die Kreuzzüge in den Geschichtsschulbüchern sehr vieler Länder Europas ihren Niederschlag. Leicht einsehbar ist, dass die dortigen Darstellungen abhängig sind von den unterschiedlichen eigenkulturellen Rahmungen bzw. den in der betrachteten Gesellschaft jeweils vorherrschenden Diskursen z.B. zu Religion, Kulturkonflikt, Gewalt, europäischer Identität, Diversität. Interessant ist es also vergleichend zu untersuchen, worauf die typischen Kreuzzugsnarrative im Schulbuch gründen und wie sie sich an den ja immer gegenwärtigen (politischen, sozialen, kulturellen) Erzählreferenzen abarbeiten. Oder prägnanter: in welchen Mythos die Geschichte der bewaffneten Wallfahrten hier oder dort gekleidet wird. Dies soll in dem Vortrag anhand einer kleinen Auswahl voraussichtlich französischer, italienischer und vornehmlich deutscher Produkte geschehen. Gefragt wird etwa nach den Modi der historischen Urteilsbildung, den zum Einsatz gelangenden medialen Codierungen und den Formaten der Aufgabenorientierung. Klar wird, dass einerseits die national imprägnierte Schulbuchdarstellung wie jede historische Erzählung allerorten mehr über das Heute und Jetzt als über vergangene Zeiten aussagt ”“ und dass andererseits bei gutem Willen Differenzierung, empathische Einfühlung und der Wille zu verantwortungsbewusster geschichtlicher Aufarbeitung möglich bleiben. Wenige Beobachtungen zu den Kreuzzugsdarstellungen aus der anderen interessierten, nämlich arabischen Perspektive runden das Bild ab.
Sven Tode (Hildesheim): Didaktische Transfermöglichkeiten beim Thema "Kreuzzüge"

Felix Hinz (Hildesheim): Die Kreuzzüge im Roman: von der Aufklärung bis heute
Dr. Felix Hinz hat geschrieben:Die Geschichtskultur prägt maßgeblich die Geschichtsbilder der Gesellschaft. Obwohl der historische Roman neben dem historischen Spielfilm den größten Anteil der Geschichtskultur repräsentiert, wird seine Erforschung bislang weitgehend der Germanistik überlassen. Für die Geschichtsdidaktik besteht hier Handlungsbedarf.
Historischen Romanen und insbesondere historischen Jugendromanen liegt seit ihrer Entstehung in Zeiten der Aufklärung eine erzieherische Absicht zugrunde. Daher ist ihnen stets eine politische Grundströmung zueigen, aus der sich fundierter als bei anderen fiktiven Textgattungen (inklusive historischer Romane, die nicht speziell Jugendliche zur Zielgruppe haben) Rückschlüsse auf gesellschaftliche Gesinnungen und Befindlichkeiten gewinnen lassen.
Der Vortrag soll auf in deutscher Sprache veröffentlichte Literatur beschränkt sein, in zentralen Aspekten dabei jedoch auch in Bezug zu Tendenzen insbesondere der angelsächsischen Tradition gesetzt werden, die in Übersetzungen ins Deutsche die deutlich größte Berücksichtigung fand und findet. Der Textcorpus, auf den Bezug genommen wird, umfasst von der Aufklärung bis heute 116 deutschsprachige Romane, die die Kreuzzüge ins Heilige Land thematisieren.
Zentrale Fragen des Beitrags werden sein: In welcher Weise spielen Selbst- und Fremdbilder in den historischen Romanen eine Rolle? Welchen Inhalts sind sie und wie veränderten sie sich in der Zeit? Wie spiegeln sich tagespolitische Ereignisse in den parabolischen Romanen wider? Inwiefern säkularisierte sich die Kreuzzugsidee in der Entstehungszeit der Romane, und wie schlug sich dies in den Romanen nieder? In welcher Weise unterscheiden sich originär deutschsprachige Werke von solchen, die ins Deutsche übersetzt wurden?
Besonderes Augenmerk wird hierbei auf die Figur Sultan Saladins gelenkt (vgl. Vortrag Jonathan Phillips), der in den Romanen als Ritter par excellence dargestellt wird und gleichsam als religiös-moralischer Spiegel für die Kreuzfahrer sowie als Brücke der kulturellen Verständigung dient (vgl. Vortrag Andreas Körber). Auffällig ist auch, dass nur in wenigen ”“ ausschließlich neueren ”“ Romanen der Versuch unternommen wird, ein tieferes Islamverständnis zu ermöglichen. Dies ist vor dem Hintergrund aktueller politischer Fragen erklärungsbedürftig. Des Weiteren wird darauf einzugehen sein, welche Rolle die Heilige Stadt Jerusalem in den deutschen Kreuzzugsnarrationen spielt ”“ und weshalb. Und schließlich stellt sich die Frage, wie die beiden deutschen Diktaturen, die Bundesrepublik der Nachkriegsjahre und das vereinte Deutschland und ‚der Westen’ (nach dem 11. September) mit dem Thema ‚Kreuzzüge’ literarisch umgingen und welche Schlussfolgerungen dies geschichtsdidaktisch zulässt.
Peter Müller (Hildesheim): Die Kreuzzüge im US-amerikanischen und europäischen Spielfilm

Taef el-Azhari (Qatar): The Crusades in Arab Culture and Media. Shaping Future Generations

Andreas Körber (Hamburg): Kreuzzüge - ein ergiebiges Thema für interkulturelles Lernen?
Montrose
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Re: "…was uns heute noch heilig ist" 16./17.12.11 Uni Hildesheim

Beitrag von Montrose »

Der Titel ist irreführend und unreflektiert.

"Heilige Dinge" äußern sich nicht zwangsläufig in Kreuzzügen. Vor allem aber übersieht der Ansatz, daß Werte sowie ihr Gegenteil, nämlich Ungerechtigkeit, sich inner- und nicht zwischenkulturell zeigen. Der "Feldzug" in Afghanisthan ist für die deutschen Gesellschaft bedeutungslos. Die hat ganz andere Probleme: die Schere zwischen oben und unten geht immer weiter auseinander.

Dieses ganze akademische Geblubber ist ein Ablenkungsmanöver von den wirklichen Problemen. Moral kann man nicht essen.
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